Bäume sterben langsam

26. April 2021
Autor: C.Okonek
Lesezeit
11 min

Die Bäume erfreuen uns mit den ersten grünen Blättern im Frühling, sie spenden im Sommer Schatten, im Winter zeichnen ihre Äste wundervolle Grafiken in den Himmel

Der Baum wird geschätzt als Lieferant von Sauerstoff (O2) und
als Verwerter von dem für uns Menschen giftigen Kohlenstoffdioxid (CO2)

Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit

Städtische Bäume haben weit mehr Vorteile als vermutet

Sie verbessern die Qualität der Stadt grundlegend. Sie filtern und kühlen die uns umgebende Luft, die Straßen und Gebäude. Sie geben Feuchtigkeit ab, verbessern die Wasserqualität, reduzieren die UV-Strahlen und schützen die Architektur vor schnellem Zerfall. Darüber hinaus tragen sie in hohem Maße zur Verbesserung des sozialen, physischen und psychischen Wohlbefindens bei (*1). Diese Vorteile werden noch wenig in die Waagschale geworfen.

In Berlin leben zurzeit mehr als 3,6 Millionen Menschen (*2). Ein einzelner gesunder erwachsener Mann atmet pro Tag etwa 456 Liter Kohlendioxid (CO2) aus (ein Volumen von 164 x 164 Meter), wenn er sich im Ruhezustand befindet (*3). Hinzu kommen riesige Mengen an freigesetztem CO2, u. a. durch Tierhaltung, Autos, Fabriken, Brennstoff- und Landnutzung. Der Baum hilft durch seinen Stoffwechsel diese Menge zu reduzieren.

Doch wie funktioniert die Sauerstoffproduktion im Winter, wenn der Baum keine Blätter hat?

 

Das Kreislaufsystem Baum

Wie jede grüne Pflanze verarbeitet der Baum das für den Menschen giftige Kohlendioxid (CO2) zu körper-eigenen Stoffen, u. a. zu Kohlenstoff. Im gleichen Maße wie er Kohlenstoff einlagert – er wächst –, gibt der Baum Sauerstoff ab, nimmt ihn aber zum Teil auch wieder auf. Der Umsatz ist u. a. abhängig von seiner Art, dem Alter, der Größe, dem Standort, der Bodenqualität, seiner Versorgung mit Wasser und seinem Gesundheitszustand (*4).

Obwohl ein Baum enorme Mengen an Sauerstoff produziert, ist das global gesehen zu vernachlässigen.

Nach wissenschaftlichen Schätzungen werden etwa 50-80 % des Sauerstoffs in den Weltmeeren produziert. Ein weiterer Teil entsteht in der Atmosphäre (*5).

Das Meer am Cape Kamui, Hokkaido, Japan

Aus dem Gleichgewicht

In einem natürlichen Gleichgewicht halten sich in den metabolischen Prozessen Produktion, Verbrauch, Einlagerung, Abgabe und die Aufnahme von Stoffen normalerweise die Waage. Wird dieses Gleichgewicht jedoch über lange Zeit hinweg gestört, etwa durch menschliche Überproduktion oder Zerstörung der CO2-verarbeitenden grünen Pflanzen, verändert dies die uns umgebende Luft. Die gesamte Erdatmosphäre verändert sich, was folglich Einfluss auf die Temperatur der Erde hat. Im Ergebnis beginnt damit eine fatale Entwicklung. Der Wandel beginnt zunächst langsam. Doch die Reaktion vieler voneinander abhängiger Kreisläufe wird die Entwicklung ab einem bestimmten Punkt so enorm beschleunigen, was schließlich zu einem unweigerlichen und schnellen Zusammenbruch führt.

Schichten der Erdatmosphäre, Bild: Shutterstock.com

CO2 ist in der Erdatmosphäre ein natürlich auftretendes, klimawirksames Treibhausgas und somit ein wichtiger Bestandteil der Luft. Es strahlt mit anderen Gasen einen Teil der Infrarotstrahlung, die von der Erde ausgeht, wieder zurück. So entsteht eine Durchschnittstemperatur, die vielfältiges Leben möglich macht. Es ist eines der großen Kreislaufsysteme unserer Erde, das in einer gesunden Umwelt immer wieder in die Balance kommt (*6).

Die gute Nachricht

Jede Privatperson kann dazu beitragen, die Bäume zu erhalten. Es wäre optimal, den Baum einmal pro Woche mit 60-100 l zu gießen, das sind ca. 10 Kannen oder 8 Minuten mit dem Wasserschlauch.

Der offene Boden braucht Schutz vor Verdichtung und Giftstoffen (Urin, Winterstreu).

Vermeiden Sie es bitte, die Baumscheibe zu betreten.

Das Wasser im Versorgungskreislauf des Baumes

Wie in vielen Kreislaufsystemen unseres Planeten beeinflusst das Wasser auch im Baum alle Wachstums- und Stoffwechselprozesse. Bei grünen Pflanzen wird im Prozess der Photosynthese CO2 über die Spaltöffnungen in den Blättern aufgenommen und ins Zellinnere transportiert. Im Zusammenspiel von Wasser und Sonnenenergie werden Nährstoffe produziert, die anschließend über Leitbahnen in der Pflanze verteilt werden. Kohlenstoff wird abgespalten und als Biomasse abgelagert. Der Baum wächst. Wie T. M. Sterling, Professor am Institut für Entomologie, Pflanzenpathologie und Unkrautforschung der New Mexico State University, herausfand, verdunstet ein Teil des Wassers über die Blätter zurück in die Umgebungsluft. Der abgegebene Sauerstoff wird zum Teil wieder aufgenommen. Ein Kreislauf in relativer Balance, der mit den großen Kreisläufen in Zusammenhang steht.

Warum können immer weniger Bäume überleben?

Der Grund: Kleine und große Versorgungskreisläufe sind beeinträchtigt. Wassermangel verändert indirekt die Zusammensetzung unserer Luft und führt zu wärmeren Temperaturen. Der Kohlenstoff (CO), der in der Biomasse wie dem Holz, den Blättern und den Wurzeln gebunden ist, wird bei normaler Zersetzung durch Bakterien oder Tiere als Kohlendioxid wieder in die Luft zurückgeführt.

Grafik: Video Cutout, TerraX, modifiziert

Das Wasser wird von den Wurzeln durch den Stamm in die Krone gepumpt (Model)

Grafik: Video Cutout, TerraX, modifiziert

Aus den Blättern wird Feuchtigkeit abgegeben (Model)

Das bedeutet: In einer ungestörten Umgebung ist der Sauerstoff- und CO2-Gehalt in der Luft relativ ausgewogen. Die Zerstörung der photosynthesefähigen Kreislaufsysteme, zu denen auch der Baum gehört (u. a. auch die Weltmeere), fördern den Anstieg von CO2 in unserer Umgebungsluft und der Atmosphäre potenziell.

Die Verwendung fossiler Brennstoffe wie Öl, Kohle, die Vernichtung von Wäldern durch Brandrodung oder Pellet-Herstellung (*6) und intensive Landnutzung sind nur einige der zusätzlichen Faktoren, die das CO2-Level ansteigen lassen. Das übermäßige Vorhandensein von CO2 verändert jedoch nicht nur die uns umgebende Luft, sondern auch die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und somit die auf der Erde vorherrschenden Temperaturen.

In den Straßen beeinflusst menschliches Verhalten die Wasseraufnahme und somit den Stoffwechselkreislauf der Bäume empfindlich.

Bodenverdichtung, ausgelöst durch die konstante Vibration des Verkehrs, abgestellte Fahrräder, Autos oder Maschinen zur Straßenreinigung (hier gibt es seit einiger Zeit schon positive Änderungen), machen das Erdreich undurchlässig. Es kann nicht mehr „atmen“. Wir konnten immer wieder feststellen, dass das Wasser auch nach heftigen Regenfällen nur wenige Zentimeter in den Boden eindringt. Natürliche Nährstoffe und „neuer Boden“ können nicht mehr gebildet werden, denn die humusbildenden Organismen benötigen ein relativ ungestörtes Erdreich. Sie leben von abgestorbenem Pflanzenmaterial.

Weitere Schäden können durch Bodenverunreinigungen wie u. a. Salze (Winterstreu), Urin oder künstliches Absenken des Grundwassers für z. B. Bauprojekte entstehen.

Über die blaue Rohre wird das Grundwasser weggeleitet.

Die Schäden potenzieren sich

Der Wassermangel hat weitaus komplexere Auswirkungen,
als man zunächst denkt!

Was bedeutet in diesem Fall potenzieren“? Ist es zu heiß und der Baum bekommt weder aus der Umgebung noch aus dem Boden ausreichend Feuchtigkeit, nutzt er seine Wasservorräte. Zusätzlich schließt er seine Spaltöffnungen in den Blättern. Dadurch verringert er u. a. den Verlust an Wasser, reduziert aber gleichzeitig seinen gesamten Versorgungskreislauf.

Bild: pixabay.com CC0

Die Folge: Weniger Aufnahme und Verarbeitung von CO2, geringere Produktion und reduzierter Transport von Nährstoffen, weniger Abgabe von Sauerstoff , weniger Verdunstung von Wasser – der gesamte Kreislauf wird noch langsamer, die Luft noch trockener und die Umgebung noch wärmer. Es verbleibt mehr CO2 in der Luft und gelangt schließlich in die Atmosphäre, was zu einer globalen Erwärmung führt. Dieses stetig künstlich hervorgerufene Ungleichgewicht verändert die in Wechselbeziehung stehenden Kreisläufe um ein Vielfaches und in immer kürzer werdenden Zeitabständen. Die Veränderungen potenzieren sich.

Wenn im Baum kaum mehr Wasser fließt, ihm also die Grundlage seines Versorgungskreislaufes fehlt, beginnt er zu hungern. Er wird schwach. Krankheit und Unwetter haben dann ein leichtes Spiel. Die Schäden zeigen sich jedoch erst nach Jahren.

Um zu überleben, beginnt der Baum, sich an die neue Situation anzupassen. Er reduziert die Wasserabgabe und zwangsläufig die Produktion von Nährstoffen. Er versucht, Alternativen zu entwickeln. Jedoch: Natürliche Entwicklungsprozesse haben ein vorgegebenes Zeitmaß. So benötigt auch ein Baum bestimmte Vorbedingungen und viele Vegetationsperioden, um sich anzupassen. Weder Zeitmaß noch Vorbedingungen entsprechen den schnellen Veränderungen, die durch menschliche Einflussnahme hervorgerufen werden. Es ist ein hochkomplexes Ineinandergreifen von Kreisläufen und Mechanismen, das weitreichende Fragen an den Menschen und sein Handeln auf allen Ebenen aufwirft.

Viele kleine Aktionen haben Auswirkungen im Großen

Neupflanzung

Durch kontinuierliche Bemühungen der Stadt zur Aufforstung gab es bis vor einiger Zeit noch 431 000 Straßenbäume in Berlin. Die Baumpopulation der Bundeshauptstadt nimmt stark ab. Allein in den letzten, sehr trockenen Jahren zwischen 2016 und 2019 verlor die Stadt 7000 Bäume (*7). Trockenheit und Krankheit,  sowie der direkter und indirekter Einfluss durch Bauvorhaben spielen eine nicht unerhebliche Rolle.

 

Mehr Pflege der Bestandsbäume anstatt nur Neupflanzungen

Die Stadt ist bemüht, neue Bäume anzupflanzen, doch das geht mit vielen negativen Auswirkungen einher: problematische abiotische Faktoren wie Phytotoxine, Nährstoffungleichgewicht, niedriger oder hoher pH-Wert und eine ungünstige Bodenstruktur. Hinzu kommt, dass die Versorgung mit Wasser im Normalfall nur 3 Jahre gewährleistet wird.

Zusammenfassend kann hier also gesagt werden: Für einen neu gepflanzten Baum ist es noch schwieriger, zu überleben und zu wachsen, als für einen Bestandsbaum.

 

Was können wir tun?
Die gute Nachricht

Jede Privatperson kann mit kleinen Änderungen im eigenen Verhalten dazu beitragen, die Bäume zu erhalten. Es hilft, öfter mal mit mehreren Eimern Wasser den Baum zu gießen – optimal wären einmal pro Woche 60-100 l, das sind ca. 10 Kannen oder 8 Minuten mit dem Wasserschlauch. Außerdem braucht der offene Boden Schutz vor Verdichtung und dem Eintrag von Giftstoffen (Urin, Winterstreu). Werfen Sie Ihren Müll in die Abfallbehälter und vermeiden Sie es, die Baumscheibe zu betreten.

Wenn jeder seine Einstellung und sein Verhalten ein wenig ändert, potenziert sich auch hier das Ergebnis, denn: Mehr als 3,6 Millionen Menschen leben in Berlin.

 

Quellen und Links

Quellen:

  1. Nowak DJ, Hoehn R, Crane DE. Oxygen production by urban trees in the United States. Arboriculture and Urban Forestry. 2007;33(3):220-226.
  2. Senatsverwaltung für Umwelt Verkehr und Klimaschutz. Einzelbäume in Reinickendorf / Land Berlin. Published 2021. Accessed April 22, 2021 https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/stadtgruen/stadtbaeume/de/einzelbaeume/reinicke/dicke_marie.shtml.
  3. Levine JS. Burden of Breathing – The New York Times. The New York Times. Published online 1990:Section C, Page 10 of the National edition. Accessed March 13, 2021.
  4. Klein D, Schulz C. Kohlenstoffspeicherung von Bäumen. Merkblatt 27 der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. Published online 2011:6. www.lwf.bayern.de.
  5. Johnson FS. The balance of atmospheric oxygen and carbon dioxide, Biological Conservation. Elsevier, ed. 1970;2(2):83-89.
  6. Milman TDO. The dirty little secret behind “clean energy” wood pellets | Biomass and bioenergy. The Guardian. Published 2018. Accessed April 5, 2021. https://www.theguardian.com/environment/2018/jun/30/wood-pellets-biomass-environmental-impact.
  7. Senat für Umwelt Verkehr und Klimaschutz- Berlin. Daten und Fakten zu Straßenbäumen / Land Berlin. Published 2019. Accessed April 22, 2021. https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/stadtgruen/stadtbaeume/de/daten_fakten/uebersichten/index.shtml.

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